Quantenspiele

Was Sie in dieser Lektion erwartet

  • In dieser Lektion erahren Sie etwas darüber, welche Auswirkungen die Anwendung der Quantenmechanik auf Teilgebiete der Spieltheorie haben könnte.
  • Sie werden sehen, dass Quanten-Strategien den klassischen Strategien überlegen sein können .
  • Die Grundidee dabei ist die Ausnutzung des Superpositionsprinzip.
  • Um diese Lektion zu verstehen, sollten Sie bereits quantenmechanische Grundkenntnisse besitzen, insbesondere der Begriff Eigenzustand sollte Ihnen bekannt sein.

1. Vorbemerkung – 2. Ein kleines Münzspiel – 3. Das “Gefangenden-Dilemma – 4. Diskussion

1. Vorbemerkungen

Zunächst wird es Sie vermutlich verwundern, was Quantenphysik und Spiele miteinander zu tun haben. Spiele wie Schach oder Poker basieren schließlich hauptsächlich auf Aktionen wie Bluff, Raten und anderen gänzlich unphysikalischen Handlungen. Wenn man das Ganze etwas genauer betrachtet, sprechen allerdings doch einige Argumente für eine Verwicklung der Quantenmechanik mit der Spieltheorie:

  • Für die eigentliche Spieltheorie ist die bewusste Auswahl von Spielzügen eher unwichtig. Im Grunde geht es eigentlich nur um Maximierung oder Minimierung bestimmter Zustandswerte. Da ist es für einen Quantenphysiker nur legitim, zu fragen, was passiert, wenn man Linearkombinationen (Superpositionen) dieser diskreten Zustände zuließe.
  • Wie die Spieltheorie, die vielfältige Anwendungen beispielsweise in der Biologie besitzt, basiert die Quantenmechanik hauptsächlich auf Wahrscheinlichkeitsaussagen.
  • Es gibt Theorien, dass die Evolution des Lebens nichts anderes ist als ein “Überlebens-Spiel” auf molekularer (=genetischer) Ebene, also genau in dem Bereich, in dem in der Physik die Quantenmechanik zuständig ist.
  • Das Gebiet der Quantenkommunikation hat enge Verbindung mit der Spieltheorie. Beispielsweise kann das Belauschen einer solchen Kommunikation durchaus als eine Art Strategiespiel betrachtet werden.

Wie Sie sehen, ist es nicht völlig abwegig, die Quantenmechanik auf Spiele anzuwenden. Zudem sind die folgenden Beispiele sehr gut geeignet, etwas Farbe in die doch eher trockene Quantenmechanik zu bringen.

2. Ein kleines Münzspiel

In diesem Abschnitt wollen wir ein einfaches Münzspiel betrachten, das 1999 von David A. Meyer [1] vorgestellt und diskutiert wurde:

Zwei Personen, hier Alice und Bob genannt, spielen in diesem Spiel gegeneinander. Eine Münze wird mit der Zahl-Seite nach oben in eine Schachtel gelegt und diese verschlossen. Nun darf erst Alice, dann Bob und zum Schluss wieder Alice die Münze wahlweise umdrehen oder unverändert liegen lassen. Dabei

  • Kann keiner der beiden die Lage der Münze sehen oder fühlen und
  • keiner der beiden sehen, welchen Zug der andere getan hat.

Zum Schluss wird die Schachtel geöffnet. Liegt nun die Münze mit der Zahl nach oben, gewinnt Alice, sonst gewinnt Bob.
Die folgende Tabelle soll das ganze etwas veranschaulichen (N: Nicht umdrehen, U: Umdrehen)

 Zug Gewinner
Alice 1 Bob Alice 2
N N N Alice
N N U Bob
N U N Bob
N U U  Alice
U N N  Bob
U N U  Alice
U U N  Alice
U U U  Bob

Testspiel

Hier können Sie das Alice-Bob-Spiel in der Rolle von Bob einmal probespielen. Gespielt wird mit einer Ein-Euro-Münze. Zusätzlich werden zu Ihrer Übersicht die Spielzüge und die daraus resultierenden Zustände der Münze dargestellt.

Für die Darstellung der Zustände (=”Zahl oben”, =”Adler oben”) wurde die in der Quantenmechanik übliche Bra- und Ket-Schreibweise verwendet. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken: Es handelt sich lediglich um (Spalten-)Vektoren.
Die Operatoren  und  stehen für die beiden Strategien “Umdrehen” und “Nicht umdrehen”.

Quantenmechanischer Spieler

Wenn Sie das Spiel auf der vorhergehenden Seite oft genug gespielt haben, dürften sich die Anzahl Ihrer Siege und Niederlagen in etwa die Waage halten. Nun versuchen Sie sich einmal gegen diesen Computerspieler:

Erklärung der Quanten-Strategie

Alice hat auf der vorherigen Seite nicht, wie Sie jetzt vielleicht vermuten, heimlich die Münze angesehen und entsprechend reagiert. Sie war nur cleverer als vorher und wendete die Quantenmechanik an!

Ausgangssituation

Die Münze im Alice-Bob-Spiel kennt zwei Grundzustände: Zahl () und Adler ().

Sieht man die Münze nun als Quantensystem an, so besteht die Menge der möglichen Zustände nicht nur aus den klassischen Zuständen  und , sondern auch aus allen komplexen Linearkombinationen , deren Betrag gleich 1 ist. Die beiden Grundzustände kann man also als linear unabhängige Vektoren auffassen. Der Einfachheit halber wollen wir sie mit den kanonischen Basisvektoren identifizieren:

Ein Spielzug ist dann nichts anderes als eine Abbildung . Um genauer zu sein, handelt es sich um eine lineare Abbildung, ähnlich der linearen Funktionen, die man aus der Schulmathematik kennt. In der Vektor-Algebra lässt sich eine lineare Abbildung ganz einfach dadurch darstellen, dass eine 2×2-Matrix (die sogenannte “darstellende Matrix”) mit dem entsprechenden (Spalten-)Vektor multipliziert wird. Näheres hierzu können Sie in einem Extra-Abschnitt nachlesen.

Den beiden klassischen Zügen “nicht umdrehen” und “umdrehen” entsprechen die folgenden Abbildungs-Matrizen:

Anschaulich handelt es sich bei  um die identische Abbildung und bei  um eine Spiegelung an der Winkelhalbierenden des I. und III. Quadranten. In der Schule kennt man diese Abbildung im Zusammenhang mit der Umkehrfunktion, die ja quasi x und y vertauscht. Hier tut sie genau dasselbe, nur dass sie jetzt die beiden Komponenten des Zustands-Vektors vertauscht.

Die Quanten-Strategie:

Der Trick besteht nun darin, die Münze durch einen geschickten Zug zunächst in einen Zustand zu bringen, der von  nicht verändert wird. Da eine Achsenspiegelung ist, liegen die Fixpunkte auf der Achse. Die Abbildung

 

bringt die Münze aus dem Zustand  in den Zustand

Bei  handelt es sich um eine Achsenspiegelung, deren Achse den Winkel zwischen der Spiegelachse von  und der X-Achse halbiert:

Ganz egal ob Bob nun die Münze dreht oder nicht, ihr Zustand bleibt gleich! Nun muss Alice nur ein zweites Mal  anwenden, um die Münze wieder in den Zustand  zurück zu versetzen und hat gewonnen.

Auf der folgenden Seite können Sie das Spiel noch einmal spielen und dabei beobachten, wie sich der Zustand der Münze von Zug zu Zug ändert.

Testspiel “mit offenen Karten”

Dieses Mal können Sie mitverfolgen, wie sich der Zustand der Münze ändert.

Bemerkungen

Vermutlich wird sie das eben behandelte Spiel nicht besonders überzeugen, da es doch arg konstruiert aussieht: Alice benutzt nicht nur die Quantenmechanik zu ihrem Vorteil, sondern darf auch noch doppelt so oft ziehen wie Bob. Leider kann Alice nur in dieser Konstellation mit Hilfe der Quantenmechanik Kapital aus dem Spiel schlagen:

  • Wenn Bob nach Alice ein zweites Mal ziehen darf, kann Alice nicht im Voraus wissen, wie er sich entscheiden wird. Es macht also keinen Sinn, die Münze so zu präparieren, dass einer der beiden Zustände wahrscheinlicher ist als der andere. Der Zustand, in dem die Münze “resistent” gegen das Umdrehen ist, ist aber vertrackterweise genau derjenige, in dem “Zahl” und “Adler” bei einer Messung mit gleicher Wahrscheinlichkeit gefunden werden…
  • Darf Bob am Anfang ein Zusätzliches Mal ziehen, so befindet sich die Münze vor Alices erstem Zug nicht mehr grundsätzlich im Zustand “Zahl”. Nun müsste Alice eine Abbildung benutzen, die beide (linear unabhängigen) Zustände in ein und denselben Zustand überführt. Solch eine Operation ist jedoch quantenmechanisch nicht erlaubt (sie ist nicht unitär).

Dieses Beispiel ist jedoch einfach genug, um die zugrunde liegenden Prinzipien zu begreifen. Im folgenden werden Sie ein weiteres Beispiel kennenlernen, das nicht so konstruiert wirkt.

3. Das “Gefangenen-Dilemma”

Das folgende Spiel ist unter dem Namen “Gefangenen-Dilemma” (englisch: Prisoners’ dilemma) bekannt. Normalerweise geht es bei diesem Spiel um zwei Gefangene, die sich gegenseitig verpfeifen können. Wir wollen dieses Spiel hier in einer “entschärften” Version betrachten:

Alice und Bob erhalten vom Spielleiter jeweils eine Münze. Nun haben beide unabhängig voneinander folgende Wahlmöglichkeiten:

  • Sie können kooperieren, indem sie die Münze mit der Zahl nach oben zurückgeben.
  • Sie können nicht kooperieren und die Münze mit dem Adler nach oben zurückgeben.

Abhängig von Alices und Bobs Wahl zahlt der Spielleiter nun die Gewinne aus:

  • Wenn beide Spieler kooperieren, erhalten beide 3 Euro.
  • Wenn nur einer kooperiert, erhält er gar nichts, der nicht kooperierende Spieler aber 5 Euro.
  • Kooperiert keiner, erhält jeder nur einen Euro.
Zug Bob kooperiert Bob kooperiert nicht
Alice kooperiert Alice: 3

Bob: 3
Alice: 0
Bob: 5
Alice kooperiert nicht Alice: 5
Bob: 0
Alice: 1
Bob: 1

Auf der folgenden Seite können Sie das Spiel probespielen. Versuchen Sie doch einmal, eine gewinnträchtige Strategie zu finden!

Testspiel

Hier zur Erinnerung nochmal das Gewinnschema:

 Alice kooperiert Alice kooperiert nicht
 Sie kooperieren (liegenlassen) Alice: 3
Sie: 3
 Alice: 5
Sie: 0
 Sie kooperieren nicht (umdrehen)  Alice: 0
Sie: 5
 Alice: 1
Sie: 1

Das Dilemma

Vielleicht haben Sie das Dilemma ja bereits selbst erkannt. Wenn nicht, können Sie es hier nachlesen:

Für den Fall, dass Ihr Gegenspieler kooperiert, haben Sie folgende Wahlmöglichkeiten:

  • Wenn Sie ebenfalls kooperieren, erhalten Sie 3 Euro,
  • wenn Sie nicht kooperieren, erhalten Sie 5 Euro.

Sollte Ihr Gegenspieler sich dazu entschließen, nicht zu kooperieren, so haben Sie diese Möglichkeiten:

  • Sie kooperieren und erhalten gar nichts oder
  • Sie kooperieren nicht und erhalten einen Euro.

Egal wie die Wahl Ihres Kontrahenten ausfällt, Sie erhalten stets mehr Gewinn, wenn Sie nicht kooperieren. Wenn nun aber beide Spieler nicht kooperieren, ist der Gesamt-Ertrag ausgerechnet der niedrigste aller möglichen Gesamterträge! Keiner der beiden Spieler kann jedoch seinen Ertrag erhöhen, wenn nur er seine Strategie ändert. Dies ist das Dilemma an diesem Spiel. Natürlich würden wir Ihnen das Spiel nicht vorstellen, wenn die Quantenmechanik keine Lösung parat hätte. Im Folgenden wollen wir diese ein wenig erläutern.

Das Dilemma – quantenmechanische Betrachtung

Die quantenmechanische Betrachtung des Gefangenen-Dilemmas beruht auf einem Artikel von Jens Eisert, Martin Wilkens und Maciej Lewenstein[2]. Da die Theorie dieses Spiels sehr kompliziert ist, kann sie hier nur in Auszügen wiedergegeben werden. Wer sich für den Artikel interessiert, findet am Ende dieser Lektion die Literaturangabe.

Das erste, woran Sie jetzt wahrscheinlich denken, ist dieselbe Vorgehensweise wie beim vorherigen Spiel: Das Zulassen von Superpositionen der beiden Spielzüge “kooperieren” und “nicht kooperieren”.

Leider führt das nicht zum gewünschten Resultat. Die folgende Grafik zeigt Alices Gewinn in Abhängigkeit von ihrem () und Bobs () Spielzug. Da es neben den Kombinationen von “kooperieren” (C) und “nicht kooperieren” (D) noch weitere quantenmechanisch mögliche (=unitäre) Spielzüge gibt, existiert ein weiterer extrem-Zug Q. Den Grund hierfür können Sie auf einer Extra-Seite nachlesen.

 

 

Man sieht: Bei jedem von Bobs möglichen Spielzügen  erhält Alice den höchsten Gewinn, wenn Sie die Strategie D (“nicht kooperieren”) wählt.

 

Die Lösung des Dilemmas

Der Schlüssel zur Lösung des Dilemmas heißt verschränkter Zustand. Normalerweise befinden sich die beiden Münzen zu Beginn des Spiels im Zustand “Zahl”. Für den Verlauf des Spiels ist der Ausgangszustand der Münzen allerdings völlig unerheblich, solange er

  • beiden Spielern bekannt und
  • bei beiden Münzen derselbe ist.

Anstatt also im Zustand “beide Münzen zeigen Zahl” (quantenmechanisch als Vektor geschrieben: ) zu starten, beginnen wir in einem zunächst beliebigen anderen Zustand  (J stellt eine beliebige Vektor-Abbildung dar). Die Darstellung mit der Abbildung J wurde gewählt, weil das Spiel, wenn beide Spieler kooperieren, sich am Ende wieder im Zustand  befinden muss. Dies kann hier ganz einfach erreicht werden, indem nach dem Ausführen der Spielzüge  und  die Umkehrabbildung  angewendet wird. Der Endzustand des Spiels sieht also folgendermaßen aus:

 

Der Trick besteht nun darin, die Anfangszustände der beiden Münzen verschränkt zu wählen, d.h. wenn sich der Zustand der einen Münze ändert, beeinflusst das auch den Zustand der zweiten Münze.

Wie Sie auf der folgenden Seite sehen können, löst sich das Dilemma in Wohlgefallen auf, wenn man den Anfangszustand der beiden Münzen mit maximaler Verschränkung wählt.

Das maximal verschränkte Spiel

Wählt man den Ausgangszustand des Spiels maximal verschränkt, so ergibt sich eine völlig neue Situation. Solange sich die Spieler auf die klassischen Zugmöglichkeiten C und D beschränken, bleibt alles beim alten, und “beide kooperieren nicht” bleibt der strategisch günstigste Zug mit dem geringsten Gesamtertrag. Lässt man nun alle quantenmechanisch möglichen Züge zu, so ergibt sich folgendes neue Diagramm für Alices Gewinn:

Wenn Bob nun C spielt, ist immer noch D die günstigste Wahl. Spielt Bob jedoch seinerseits D, so kontert Alice besser mit dem neuen “Quantenzug” Q, der ihr satte fünf Euro einbringt. D ist also nicht mehr in allen Situationen der beste Zug. Im Gegenteil: Jeder Spieler kann nun seinen Gewinn erhöhen, wenn er von D  abweicht, der andere aber immer noch D spielt.

Der neue Zug Q löst nun D als statistisch beste Wahl ab, doch nun ist der Gesamt-Ertrag maximal (beide erhalten 3 Euro), wenn beide Spieler Qspielen; das Dilemma ist also beseitigt!

Auf der folgenden Seite können Sie das Spiel nocheinmal mit maximaler Verschränkung spielen, wobei Ihnen und Alice auch der Quantenzug Qzur Verfügung steht.

Testspiel mit maximaler Verschränkung

4. Diskussion

Die hier diskutierten Beispiele sind in der Realität so natürlich nicht durchführbar, da ein makroskopisches Objekt wie eine Münze niemals in eine Superposition mehrerer Eigenzustände gebracht werden kann. Ein Münze ist allerdings wesentlich anschaulicher als z. B. ein Elektron, mit dem die beiden Spiele zumindest theoretisch möglich wären.

Im Zuge der Forschung an Quantencomputern wäre es jedoch durchaus denkbar, eine Art “Quanten-Gameboy” zu entwickeln, mit dem solche Spiele tatsächlich spielbar wären.

Externer Link:

Peter Marzlin an der Universität Konstanz hat das Spiel Quantum Mine Sweeper programmiert, das auf  der sogenannten “wechselwirkungsfreien Quantenmessung” beruht (Elitzur-Vaidman-Effekt).

Quellen:
[1] D. Meyer, Quantum Strategies, Physical Review Letters 82, 1052 (1999).
[2] J. Eisert, M. Wilkens, M. Lewenstein, Quantum Games and Quantum Strategies, Physical Review Letters 83, 3077 (1999).